Sölden - Erstnennung
2005 feierte Sölden stolz sein 1200jähriges Jubiläum. Ein solches Jubiläum bedeutet nicht, dass Sölden im Jahr 805 ‚gegründet‘ worden wäre. Wie viele andere Orte im Abendland wird es zu diesem Zeitpunkt nur zum ersten Mal in einem bis heute erhaltenen Dokument erwähnt (wie man damals glaubte). Für die Zeit davor gibt es ganz einfach keine schriftlichen Belege. Die Forschung geht allerdings davon aus, dass das Hexental bereits etwa im 7. Jahrhundert erschlossen worden ist (H. Harter, in: A. Zettler/T. Zotz [Hgg], Die Burgen im mittelalterlichen Breisgau. I, Halbband L-Z, Ostfildern 2023, S. 412–420, hier S. 414). Die erste Besiedelung kann theoretisch also bis in diese Frühzeit zurückreichen.
Der Söldener Chronist Franz Kern († 2012) zitiert ausführlich die Urkunde, auf die sich die Berechnung des Jubiläumsjahrs bezog (F. Kern, Sölden. Die Geschichte eines kleinen Dorfes, Sölden 1995, S. 26). Diese wurde in Kirchhofen ausgestellt und beurkundete eine Schenkung an den Hl. Gallus († um 645) bzw. an das Benediktinerkloster St. Gallen, wo bis auf den heutigen Tag die Reliquien des Heiligen aufbewahrt werden (Genealogia Diplomatica Augustae Gentis Habsburgicae, Bd. 2, Wien 1737, S. 16f, Nr. 32). Die lateinisch abgefasste Urkunde spricht von den Besitztümern, die u.a. in „Prisigauge et in Selidon marca“ lagen, wobei der Herausgeber dieser Quelle, P. Herrgott Marquart OSB († 1762), anmerkt, dass dieses „Selidon“ „heute“, also 1737, „Selden“ heiße.
Nun ist die Datierung dieser Urkunde leider missverständlich. Es wird darin keine Jahreszahl der heute gebräuchlichen, christlichen Zeitrechnung genannt, sondern nur „der 7. Tag in den Iden des Juli, im fünften Jahr des Kaisers Karl, während Wolwinus Graf war“ (diem VII. Id. Jul. annum V. Karoli Imp. Aug. Wolwinum Comitem). Von Kaiser Karl dem Großen († 814) an hat es aber mehrere Kaiser dieses Namens gegeben, unter ihnen Karl III. mit dem Beinamen „der Dicke“ († 888). Für eine zuverlässige Datierung der Urkunde muss also der zweite Name hinzugezogen werden, der in der Urkunde genannt wird: der des Grafen Wolwinus. Der St. Galler Stiftsarchivar Lorenz Hollenstein hat in einem privaten Schreiben vom 19.07.2005 mit Verweis auf das Urkundenbuch der Abtei Sanct Gallen (Teil 1, Zürich 1863) darauf hingewiesen, dass dieser Wolwinus „als Graf des Breisgau von 885/886 bis 902 bezeugt“ sei (Kopie des Schreibens im Gemeindearchiv Sölden). Dann aber kann mit dem „Kaiser Karl“ nicht etwa, wie noch von Kern angenommen, Karl der Große gemeint sein, sondern es muss sich um Karl III. handeln, der von 881 bis 888 römischer Kaiser war.
So wird Sölden also nicht etwa im St. Galler Urkundenbuch, sondern in dem berühmten Codex des Reichsklosters Lorsch erstmals erwähnt. In dieser Urkundensammlung ist für das Jahr 867 eine Schenkung an den Hl. Märtyrer Nazarius bezeugt, dessen Reliquien in Lorsch aufbewahrt wurden, die das „Dorf Selidon“ betrifft (Lorscher Codex, hg. v. K. J. Minst, Lorsch 1970, S. 210, Nr. 2703). Unter den Fachleuten gilt dieses Datum inzwischen als verlässliche Erstnennung Söldens. Die eigentliche 1200-Jahrfeier kann Sölden also im Jahr 2067 (erneut) begehen.
Christof Diedrichs
Herkunft der Namen „Sölden“ und „Hexental“
Der in der Urkunde von 867 verwendete Name marca selidon leitet sich wahrscheinlich von dem keltischen Wort selda ab, das die kleinste bäuerliche Besitzgröße bezeichnet. Der Begriff marca „bedeutet Wohnort, Flecken“ oder auch „Marktflecken“ (Kern 1995, S. 26). Schon damals muss es sich bei Sölden also um eine v.a. landwirtschaftlich geprägte Klein-Siedlung gehandelt haben, die nicht viel mehr als ein paar bescheidene Höfe umfasst hat, in der jedoch offenbar in regelmäßigen Abständen ein Markt stattfand.
Auch der Name „Hexental“ hat einen solchen etymologischen Weg durch die Jahrhunderte genommen. Selbst wenn der Name intuitiv anderes vermuten lässt: Trotz eifriger Suche fand sich in der langen Geschichte des Tals nur eine einzige als Hexe hingerichtete Frau, nicht aber ein Treiben, wie es sich vom nahegelegenen Kandel oder gar dem Brocken im Harz erzählt wird. „Für Hexenprozesse im Hexental oder für Hexenverbrennungen finden wir aber – erfreulicherweise – keine archivalischen Belege,“ schrieb Franz Kern 1995 (S. 30).
Nach allem, was man heute weiß, geht der Name stattdessen auf einen keltischen Wortstamm zurück. Das keltische Wort „hags“, das über die Begriffe „Hagsental“ bzw. „Haxental“ zum „Hexental“ führte, bezeichnete offenbar ein Feld, das von Gebüsch oder einer Hecke umgeben war. Dass die Felder mit einer dichten Hecke umgeben waren, scheint also für das Tal zwischen Merzhausen und Bollschweil kennzeichnend gewesen zu sein. Es könnte aber auch sein, dass der Name von dem – wohl älteren – Flurnamen „etzendal“ abstammt, der in mittelalterlichen Urkunden der Klöster Günterstal und Adelhausen, aber auch in einer Urkunde aus Sölden aus dem Jahr 1361 begegnet. „Etzen“ bezeichnet das Abweiden-Lassen einer Wiese (Karl Wißler, Merzhausen. Geschichte eines Breisgaudorfes im Hexental, Freiburg/Br. 1981, S. 45–47).
Christof Diedrichs
Das Gemeindewappen
Sölden bildete in der vorderösterreichischen Landgrafschaft Breisgau zusammen mit Au eine Herrschaft, die bis ins 19. Jahrhundert hinein zwei Grundherrschaften unterstand (unter anderem den Freiherren von Baden zu Liel und den Herren von Bollschweil). 1805 fiel der Ort an Baden. Seit dem 15. Jahrhundert ist ein gemeinsames Gericht unter dem herrschaftlichen Vogt von Au nachweisbar, Gemeindebeamte in Sölden sind seit dem 16. Jahrhundert belegt. Ein Siegel begegnet erst auf der Huldigungsliste für Großherzog Karl von 1811. Es zeigt ebenso wie die späteren Siegel des 19. Jahrhundert die drei Ähren auf einem Boden, von Blumenornamenten umgeben. Dieses Siegelbild erscheint auch auf Grenzsteinen seit 1839 - ältere Steine sind mit dem Wappen der Grundherrschaft versehen - und bildete die Grundlage für das 1899 vom Generallandesarchiv vorgeschlagene und von der Gemeinde angenommene Wappen.
(Entnommen am 16.09.2024)
Eine Burg in Sölden
Nur durch eine Bezeichnung, nicht durch größere Ruinen ist belegt, dass über Sölden einstmals eine Burg wachte, wenn auch nur für kurze Zeit. An der Ostseite der Gemeinden Wittnau und Sölden liegt ein 595 Meter hoher Bergrücken, der als „Bürgle“ bezeichnet wird. Hier finden sich oberhalb von Sölden Spuren, die noch 1884 als die Ruine einer Burg erkennbar waren (Hans Harter, in: A. Zettler/T. Zotz [Hgg], Die Burgen im mittelalterlichen Breisgau. I, Halbband L-Z, Ostfildern 2023, S. 412–420, hier S. 412). Heute sind nur noch die Reste von zwei Gräben und ein fünf bis sechs Meter hoher Fels mit wenigen Mauerresten erkennbar. Auf diesem Fels, der den höchsten Punkt der Anlage bildet, stand die einstige Burg.
Anders als es die verniedlichende Bezeichnung „Bürgle“ vermuten lässt, handelte es sich dabei um „eine verhältnismäßig große […] sehr exponiert gelegene Burganlage“, wie Hans Harter erst jüngst schrieb (2023, S. 413). Sie könnte in der Zeit „um oder vor 1100“ errichtet worden sein (ebd., S. 414). „Gerold von Scherzingen hat auf der Grundlage wohl reichlich verfügbarer Mittel einen größeren Bau durchgeführt und noch vor 1115 beendet, der ihn den Burgbesitzern in der Reihe seiner Standesgenossen im Breisgau gleichstellte“. Schon in diesem vermuteten Jahr der Fertigstellung, 1115, wurde die Burg allerdings wieder abgerissen oder – weniger wahrscheinlich – zerstört (S. 419). Zu diesem Zeitpunkt schenkte der Besitzer Gerold von Scherzingen das Gelände der Abtei Cluny, um in Sölden ein Frauenkloster errichten zu lassen. Die Geschichte des Klosters in Sölden beginnt also mit der Zerstörung der Burg auf dem „Bürgle“.
Christof Diedrichs
Das „Bürgle“ - Ein Streiflicht aus dem Investiturstreit 1115
Der Herrschaftsaufbau des Gerold von Scherzingen
Im Zusammenhang mit der Gründungsgeschichte des Cluniazenserinnenklosters Sölden erscheint im Jahre 1115 ein Adliger namens Gerold von Scherzingen. Nach der Zerstörung seiner Burg brachte er seine Güter in die Stiftung des Klosters Sölden ein; dazu sind zwei Urkunden überliefert. Was war geschehen?
Wer war Gerold von Scherzingen?
Im Jahre 1088 sind erstmals „Gerolt et frater eius Regenbodo de Scercingen“ (Gerold und sein Bruder Reginboto von Scherzingen) als Zeugen in einer Schenkungsurkunde für das Kloster Reichenbach (heute zu Baiersbronn, Lkr. Freudenstadt) fassbar. Im Jahre 1111 übertrug dann Gerold Güter in Gundelfingen und Zähringen an das neue zähringische Hauskloster St. Peter. Ursache für die Schenkung waren vielleicht Frömmigkeit und der Eintritt eines Familienmitglieds ins Kloster, vielleicht aber auch der politische Druck der Herzöge von Zähringen.
Gerold gehörte zu einer Schicht von Edelfreien; dieser Adel war schon vor den Zähringern im Breisgau ansässig. Er ist wie weitere Adlige als Lehensmann der Bischöfe von Basel anzusehen. Seine direkte Verwandtschaft benannte sich nach Offnadingen und nach Schlatt (heute zu Bad Krozingen gehörig). Weitere familiäre Bezüge sind aufgrund bestimmter Leitnamen zu den Herren von Blankenberg (abgegangene Burg bei Opfingen) und zu den Falkensteinern (Höllental), aber auch nach Nordbaden (u. a. zu den Grafen von Malsch, heute im Lkr. Karlsruhe) zu vermuten.
Gerolds Stammsitz - unklar, ob es sich um einen größeren Hof oder schon um eine Niederungsburg handelte - lag offenbar in Scherzingen (heute zur Gde. Ehrenkirchen gehörig).
Zwischen die Mühlsteine geraten
Die Zeit des späten 11. und frühen 12. Jahrhunderts war eine unruhige. Schon seit langer Zeit hatte sich ein großer Konflikt vorbereitet - der sog. Investiturstreit (1075-1122). Vordergründig ging der Streit zwischen dem erstarkten Papsttum und den Salierkaisern um die Einsetzung (Investitur) der Bischöfe, die für Könige und Kaiser im Rahmen der Reichsverwaltung unersetzlich waren. Generell ging es um die Vorrangstellung der Amtsinhaber innerhalb des Christentums, ob die Kaiser direkt von Gott eingesetzt waren oder ob der Papst über ihnen stand.
Einer der Höhepunkte des Konflikts war die Exkommunikation Kaiser Heinrichs IV. durch Papst Gregor VII. (1073-1085) und Heinrichs Gang nach Canossa 1077.
Im Rahmen dieses großen Konfliktes mussten sich auch die Adligen positionieren bzw. ihren Lehenseiden folgen und für eine der beiden Gruppen Partei ergreifen. Selbstredend wurden unter diesen Rahmenbedingungen auch lokale Fehden geführt und alte Rechnungen zwischen Adelsfamilien beglichen.
Einem Trend der Zeit folgend, versuchte Gerold wie viele andere auch, sich durch Rodung und Neubesiedlung von Gelände im Randbereich des Schwarzwaldes Eigengut und damit die Grundlage für eine eigene kleine Herrschaft zu schaffen. Zu ihrem Schutz in diesen unruhigen Zeiten und auch zur Repräsentation erschien ihm die Errichtung einer Burg notwendig.
Damit geriet er freilich in das Spannungsfeld zwischen den Bischöfen von Basel und dem Herzögen von Zähringen.
Der Bischof von Basel war zwar nicht der zuständige Diözesanbischof (der Breisgau gehörte immer zum großen Bistum Konstanz, doch war der Bischof weit entfernt), doch als weltlich agierender Territorialherr im Breisgau aktiv. Schon seit dem Jahre 1008 (sog. „Wildbannurkunde“) hatte der Basler Bischof Rechte im Breisgau, und mehrere Adelsfamilien waren seine engen Gefolgsleute. Seit 1028 verfügte er auch über umfangreiche Bergbaurechte im südlichen Breisgau. Die Bischöfe von Basel standen im Investiturstreit auf Seiten der Salierkaiser.
Auf päpstlicher Seite fanden sich hingegen die Bertolde (später Herzöge von Zähringen). In östlichen Teil ihrer Stammlande (um Weilheim/Teck, Lkr. Göppingen) waren sie 1078 unter Druck geraten - hier wurden die kaisertreuen Vorfahren der Staufer zu mächtig. So übersiedelte Bertold II. in den Breisgau, wo offenbar gerade ein Machtvakuum herrschte. Genauer gesagt: er verlagerte seinen Herrschaftsschwerpunkt in den Breisgau. Denn hier waren die Bertolde keine Unbekannten - hatten sie doch erst 1077 die Grafschaftsrechte im Breisgau verloren, d. h. der Salierkaiser Heinrich IV. hatte sie ihnen entzogen.
Nach stärkeren Kämpfen hatten sich Bischof und Herzog nach 1085 trotz ihrer prinzipiellen Konkurrenz wieder arrangiert.
Eine aufgegebene Burg
Die Geschehnisse um 1115 lassen sich aus zwei Urkunden rückschreitend rekonstruieren. Die erste Urkunde wurde zu einem unbekannten Zeitpunkt um 1115 durch Gerold von Scherzingen in Sölden ausgestellt. In der Zeugenliste finden sich vor allem Gefolgsleute des Basler Bischofs und Verwandte des Gerold.
Die zweite Urkunde wurde 1115 von Abt Pontius von Cluny ausgestellt. Darin erscheinen nun auch Herzog Bertold III. von Zähringen und zähringische Gefolgsleute. Der Basler Bischof wurde bei diesem Rechtsakt durch seinen Legaten, Propst Siginand von Münster-Granfelden (Moutier-Granval), vertreten.
„princeps nobilis Geraldus pro amore Dei destructo castello suo, voluit fieri monasterium, in proprio alodio suo Seleden.“ - „der Edle Gerold wollte aus Liebe zu Gott, nach Zerstörung seiner Burg, ein Kloster auf seinem Eigengut Sölden gründen...“.
Der Zusammenhang von „destructo castello“ scheint anzudeuten, dass Gerold seine Burg selbst zerstörte und schleifte. An anderer Stelle wird das zugehörige Gut genannt: „... predium quod situm est apud Selidin“ - „... Gut, das bei Sölden gelegen ist“.
Das Gut wurde um 1115 an das Kloster Cluny übertragen und zum Grundstock für die Gründung eines Nonnenklosters.
Was findet sich von der Burg im Gelände?
Im Jahre 1480 wird ein Weidegelände „Burghalden“ erwähnt, 1546 „das bürgli“. Der Bereich liegt an der Gemarkungsgrenze zwischen Sölden und Wittnau, die mitten durch die Burgstelle verläuft (Grenzsteine). Von einem in Ost-West-Richtung verlaufenden Bergrücken wurde der westliche Teil als Standort für die Burg ausgewählt und mit einem 5 m breiten Halsgraben abgetrennt (fig. 1-2; 4).
Ein kleiner Felskopf aus Gneis mit geringen Mauerspuren bildete das Zentrum der Anlage. Hier muss sich ein vermutlich quadratischer Wohnturm von vielleicht 9-11 m Seitenlänge befunden haben. Ein abgestürzter, umgelagerter Mauerblock aus Füllmauerwerk (das Innere der Mauer; fig. 3) ist das auffälligste Bauteil. Von Süden her scheint in den zentralen Burghügel eine Art Stollen vorgetrieben worden zu sein. Es könnte sich um eine Unterminierung beim Abbruch der Burg um 1115 gehandelt haben. Vielleicht ist es aber auch nur eine Spur des späteren Steinraubs oder einer groß angelegten Schatzsuche.
Direkt westlich des Turmes befand sich eine Fläche für ein weiteres Gebäude (?). Etwa 12 m westlich des zentralen Burghügels verlief in Nord-Süd-Richtung quer ein weiterer Graben; sein Aushub wurde als kleine Halden im Süden abgelagert. Weitere 15 m nach Westen scheint ein weiterer, verflachter Graben bestanden zu haben.
Die gesamte Burgfläche war jedoch mit einer ausgedehnten Vorburg auf 110 m Länge geplant, war bis 18 m breit und lief nach Westen dreieckig zu (fig. 5). Hier hätte eine der größeren Burgen des Breisgaus entstehen sollen...
Am Südhang zieht ein ehemaliger Graben mit Vorwall nach Westen und endet blind (fig.6); er scheint nach Westen noch flach in den Hang „angezeichnet“ worden zu sein. Die innere, nördliche Kante wurde als Annäherungshindernis künstlich versteilt; insgesamt erscheint der Graben jedoch sehr flach. Es fehlt außerdem ein Graben, der den von Westen aufsteigenden Berggrat (ehemaliger Zugang in die Burg?) abzuriegeln hatte und eigentlich vorauszusetzen ist.
Insgesamt ergibt sich der deutliche Eindruck, dass die Vorburg nicht fertig gebaut worden ist. Sie hätte die wirtschaftlichen Aktivitäten der Burg (Einlagerung von Vorräten, Ställe für Pferde und Nutztiere, vielleicht eine Burgschmiede und andere handwerkliche Tätigkeiten) aufnehmen sollen. Die Burg wurde demnach in unfertigem, unvollendetem Zustand bereits wieder zerstört.
Weitere Geländespuren gehen auf spätere wirtschaftliche Aktivitäten zurück. Eine Terrasse am Nordhang scheint von der Köhlerei zu stammen. Im Südosten liegen eine oder zwei Bergbaupingen (trichterförmige Gruben zur Erzprospektion oder als kleine Schächte).
Archäologische Funde
Durch illegal vorgenommene Schürfungen wurden zahlreiche Eisenfunde gesammelt und vor wenigen Jahren bekannt. Ihre genauen Fundstellen sind nicht dokumentiert, doch sollen sie allesamt vom „Bürgle“ stammen. Eine genaue Durchsicht ergab Folgendes:
Etwa ein Drittel ist sicher dem Mittelalter (der Zeit der Burg) zuzuweisen. Ein weiteres Drittel kann sowohl mittelalterlich als auch neuzeitlich sein; diese Stücke sind nicht genau zu datieren. Das letzte Drittel ist neuzeitlich und der Bewirtschaftung (Schneiteln von Bäumen, vielleicht auch Beweidung) und Befahrung des Waldes zuzuweisen.
Wichtig sind zwei zwischen den Eisenfunden liegende Randscherben von hochmittelalterlichen Keramiktöpfen (fig. 7). Es handelt sich um sog. nachgedrehte Ware; die Töpfe wurden zunächst frei von Hand aufgebaut und zum Schluss auf einer langsam drehenden Töpferscheibe überarbeitet und außen geglättet. Neben einem Lippenrand liegt ein durch Umlegen verdickter Wulstrand vor; das Vorkommen dieser frühen Randform scheint in der Schweiz um etwa 1100 auszulaufen. Schon in den 1980er und 1990er Jahren wurden vom Verfasser ein Randstück und einige Wandscherben der nachgedrehten Ware gefunden. Eine kurze Bolzenspitze war bereits für eine Armbrust konzipiert. Eine rechteckige Schnalle aus Buntmetall gehörte wohl zu einem Gürtel. Dem Pferdezaumzeug ist eine rechteckige Eisenschnalle zuzuweisen (fig. 7).
Zwei weitere Bolzenspitzen wurden vom Finder neu geschäftet (fig. 8). Drei Fragmente stammen von frühen, schmalen Hufeisen; an einem ist noch deutlich der typische Wellenrand zu sehen (fig. 9). Hinzu kommen 9 Hufnägel, eine rechteckige Eisenschnalle und ein kleines Messer. Ein Nagel mit großem flachem Kopf könnte ein Ziernagel oder ein Nagel für die Lauffläche eines hölzernen Radreifens sein. Typisch für das Mittelalter sind 33 Eisennägel mit hakenförmigem, dreieckigem Kopf; die kleineren sind wohl als Schindelnägel anzusprechen, was durch das Fehlen von Dachziegeln unterstrichen wird (fig. 9).
Es liegen insgesamt lediglich drei Geschossspitzen vor. Diese recht geringe Anzahl könnte darauf hindeuten, dass die Burg möglicherweise nicht direkt umkämpft gewesen ist. Die Bestimmung ihrer Form als „T 1-1“ nach Bernd Zimmermann ergibt allgemein eine Zeitstellung zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert.
Von weiteren Eisenfunden ist unklar, ob sie von der Burg oder eher von späteren Aktivitäten auf der Anhöhe stammen. Ein schwerer Hammer könnte vom Steinraub stammen oder zum Einschlagen von Keilen beim Bäumefällen gedient haben (fig. 10). Zwei unförmige Eisenteile sind nicht genauer ansprechbar; vielleicht handelte es sich um Halbfabrikate. Ein Achsstecker (Achsnagel) und ein Nagel mit flachem Kopf könnten wie zwei weitere Eisenteile und eine Kette neuzeitlich sein.
Weitere Eisenfunde (nicht abgebildet) sind sicher neuzeitlich. Dazu gehören eine tordierte Bohrerspitze, ein verdrehter Eisendraht und eine Zwinge (Ring) von einem Werkzeuggriff. Zwei Hippen oder Gertel dienten zum Schneiden von Stockausschlägen (Holzstangen), zum Entasten und zur Gewinnung von Laub als Viehfutter. Drei Kuheisen schützten die Hufe der Kühe, die bei den Arbeiten im Wald und bei der Gewinnung von Steinen zum Einsatz kamen.
Als Begehungsfunde des verstorbenen Alfred Erhart und durch den Verfasser liegen auch einige Scherben der grautonigen Drehscheibenware (13./14. Jh.) vor. Sie stammen entweder von einer unbekannten Nachnutzung des Geländes oder von einem Versuch einer Reaktivierung der Burg.
Konfliktlösung auf mittelalterliche Weise
Die Urkunden deuten in kurzen Worten an, dass die Burg zerstört wurde - vermutlich von Gerold selbst. Das zugehörige Gut wurde zur Stiftung eines Frauenklosters verwendet.
Schon die Gründung des Klosters St. Ulrich (Vilmarszell) um 1087 war aus einer ähnlichen Lösung für einen herrschaftlichen Konflikt hervorgegangen, der damit entschärft worden war.
Insgesamt entstand wohl eine Art „Win-Win-Situation“, bei der alle Beteiligten ihr Gesicht wahren konnten und dabei sogar an Ansehen, besonders aber an positivem Angedenken (memoria) und Seelenheil gewannen. Der Konflikt wurde entschärft.
Was ist damit verbunden, und wer zog Vorteile daraus?
1.) Gerold von Scherzingen
Neben einer gewissen Weltflucht (Gerold mag der Auseinandersetzungen müde gewesen sein) sind im politischen Kontext weitere Gründe anzunehmen:
- Das „Scheitern“ der Pläne Gerolds konnte religiös aufgefangen und mit einem Sinn unterlegt werden.
- Als Stifter konnte er Prestige, vor allem aber ein gutes Gedenken und Seelenheil erwerben.
2.) Bischof Rudolf II. von Basel (1107-1122)
Der Bischof wurde bei der Beurkundung durch seinen Legaten vertreten. Er hatte gute Kontakte nach Cluny und diese Lösung offenbar dorthin vermittelt.
Durch die Unterstützung der Stiftung an Cluny konnte sich der Basler Bischof der Dankbarkeit des riesigen, einflussreichen Klosters gewiss sein.
3.) Herzog Bertold III. von Zähringen
Auch der Herzog konnte sich so gleichsam als Mitstifter und Förderer für Cluny profilieren und tat damit auch Gutes für sein Seelenheil.
4.) Das Kloster Cluny
Das Kloster erhielt einen weiteren Stützpunkt am Oberrhein und die wirtschaftliche Ausstattung dazu.
Wie ging die Geschichte weiter?
Denkbar, aber nicht bewiesen ist, dass Gerold auch in das Kloster Cluny eingetreten ist und im Rahmen einer „Weltflucht“ (conversio) der politisch-militärischen Betätigung entsagt hat.
Nicht alle Scherzinger verschwanden jedoch aus der Geschichte. Gerolds gleichnamiger Sohn war weiterhin im politischen Umfeld tätig und ist bis nach 1155 belegt. Er stritt sich mit den St. blasianischen Mönchen von Bürgeln um bestimmte Besitzrechte. Nach ihm verschwand jedoch der Name der Familie aus der Geschichte.
Einige Funde von grautoniger Drehscheibenkeramik des 13. Jahrhunderts deuten auf nochmalige Aktivitäten im Bereich der ehemaligen Burg. Vielleicht trugen sich neue Herrschaftsträger mit dem Gedanken, die Burg zu reaktivieren (?). Ein ähnlicher Fall ist aus dem Elass bekannt, wo am Daubenschlagfelsen im Jahre 1261 die um 1200 abgegangene Burg Warthenberg (unweit von Saverne) reaktiviert werden sollte.
Hoher Besuch: Der Abt von Cluny in Sölden?
Es ist anzunehmen, dass sich Abt Pontius von Cluny im Sommer oder eher Herbst 1115 kurz in Sölden aufhielt und mit seiner Beurkundung die Konfliktlösung hier persönlich unterstützte. Er dürfte seinen Einzug mit großem Gefolge gehalten haben.
Ein Aufenthalt in Sölden hätte gut in seinen Reiseweg gepasst: Er reiste im Jahr 1115 von Mathilde von Canossa (einer Burg im italienischen Apennin; dort hatte im Jahre 1077 Kaiser Heinrich IV. im Büßergewand auf eine Reaktion des Papstes gewartet...) zu Kaiser Heinrich V.
Er könnte unterwegs den Cluny eng verbundenen Bischof Rudolf II. von Basel besucht haben. Im Dezember 1115 ist der Aufenthalt des Abtes in Speyer bezeugt (Harter 2006, S. 416).
Ein Frauenkloster in Sölden
Mit diesem Rechtsakt im Jahre 1115 wurde das um 1090 (vor 1093) durch den Hl. Ulrich in Bollschweil begründete Frauenkloster nach Sölden verlegt.
Das neue Frauenkloster war Cluny, einem der bedeutendsten Klöster des Mittelalters unterstellt; als Patrozinium erhielt es die Hl. Fides (Ste. Foy).
Das „Söldener Modell“ macht Schule
Die großräumige Konfliktlage im Reich entsprach im späten 11. und frühen 12. Jh. (bis zum Wormser Konkordat von 1122) eigentlich einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg. Umso bemerkenswerter ist dabei, dass es dennoch auf regionaler Ebene immer wieder zu Verständigungslösungen unter den Beteiligten kommen konnte.
Eine ähnliche Konfliktlösung wählte man - offenbar nach dem Vorbild von Sölden - etwa hundert Jahre später, im Jahre 1219. Der Schauplatz lag in der Luftlinie nur etwa 6,5 km in nordöstlicher Richtung. In einem Krieg zwischen Friedrich II. und Graf Egeno von Urach, dem Teilerben des letzten Zähringerherzogs (Bertold V., verstorben 1218), wurde die Burg auf dem Kybfelsen zerstört und dann geschleift. Im westlich unterhalb gelegenen Tal wurde das Kloster Günterstal begründet; die Altarweihe fand 1224 statt. Auch hier verschwand eine Burg, und das zugehörige Gut wurde zur wirtschaftlichen Grundlage eines Frauenklosters.
Heiko Wagner
Literatur:
- Hans Harter, Das „Bürgle“ - eine hochmittelalterliche Adelsburg. In: Wittnau Biezighofen. Vom Leben im Dorf - damals und heute. Herausgegeben von der Gemeinde Wittnau (Freiburg i. Br. 1986), S. 69-72.
- Hans Harter, Sölden/Wittnau. In: Alfons Zettler/Thomas Zotz (Hrsg.), Die Burgen im mittelalterlichen Breisgau Bd. I Nördlicher Teil Halbband L-Z (Ostfildern 2006), S. 412-420.
- Hans Harter/Boris Bigott, Scherzingen (Ehrenkirchen, FR). In: Alfons Zettler/Thomas Zotz (Hrsg.), Die Burgen im mittelalterlichen Breisgau Bd. I Nördlicher Teil Halbband L-Z (Ostfildern 2006), S. 392-398.
- Franz Kern, Vom „Bürgle“ in Sölden. Zeitschrift des Breisgau-Geschichtsvereins „Schau-ins-Land“ 94/95, 1976/77, S. 393-395.
- Franz Kern, Sölden. Die Geschichte der Propstei und des Dorfes (Sölden 1963), S. 13-15.
- Franz Kern, Sölden - Die Geschichte eines kleinen Dorfes. Herausgegeben von der Gemeindeverwaltung Sölden (Nachdruck; Freiburg i. Br. 1995), S. 23-26 (Das „Bürgle“); S. 34-35 (Gründung des Frauenklosters Sölden).
- Florian Lamke, Cluniacenser am Oberrhein - Konfliktlösungen und adlige Gruppenbildung in der Zeit des Investiturstreits. Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte Bd. LIV (Freiburg/München 2009), S. 239-272; bes. S. 258-266.
- Heiko Wagner, Gewalt und Kompromiss - Zum Ende der Burg auf dem Kybfelsen. Schau-ins-Land 140, 2021, S. 7-15; bes. S. 13.
- Heiko Wagner, Das Bürgle bei Sölden/Wittnau (Lkr. Breisgau-Hochschwarzwald) - Eine Momentaufnahme aus dem Jahre 1115. In Vorbereitung für: Schau-ins-Land 144, 2025 (erscheint März 2026).
- Heiko Wagner, Sölden-Wittnau „Bürgle“. In: www.ebidat.de (Datenbank des Europäischen Burgeninstituts EBI; alter Forschungsstand von 2010).
Chronik
Sölden stellt sich vor:
Ich bin eine der kleinen Gemeinden im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald. Aber jene, die mich kennen, sagen, ich sei eines der schönsten Fleckchen Erde, das es gibt. Ich liege genau zwischen dem Schönberg-Hohfirstgebiet und dem Schwarzwald. Ich gehöre noch zur sogenannten Vorbergzone und schon auch zum Schwarzwald. 1871 zählte ich 327 Einwohner, 1939 waren es 381, 1970 kletterte die Zahl auf 813 und jetzt, 1995, sind es schon 1.050.
Früher war ich ein Dorf mit fast lauter Landwirten, meist kleineren und wenigen größeren. Heute mühen sich noch ein einziger hauptberuflicher Bauersmann und sieben Nebenerwerbslandwirte um das Vieh, die Äcker und die Wiesen. Ich bin jetzt eine Auspendler-Gemeinde, aus der täglich um die 400 in Freiburg und Umgebung ihrem Beruf nachgehen. Im übrigen gehöre ich zum Hexental. Meine Gemarkung umfasst nur 380 ha. Am Rain- und Heidenbächle liegt mit 318 m mein tiefster Punkt. Die Dorfkirche steht bei 400 m, die Saalenbergkapelle bei 460 m Höhe, das Bürgle bei 578 m. Beim Kohlerkopf, mit 732 m über der Meereshöhe, ist meine höchste Erhebung.
In meiner Mitte befand sich etwa 400 Jahre lang ein Frauenkloster. Später wirkten hier Benediktinermönche von St. Peter. 73,3% meiner Einwohner sind katholisch, 16,2% gehören zur evgl. Konfession. Wo einst die Pröpste von Cluny residierten, die Mönche von St. Peter und die Pfarrer ihres Amtes walteten, besteht heute das Dorfhelferinnenwerk Sölden e. V.
1935 zählte man 72 Häuser, 1970 schon 138 und anno 1995, sind es 245 Wohngebäude.
(...) (gekürzt entnommen aus der Dorfchronik "Sölden - die Geschichte eines kleinen Dorfes“ von Dr. Franz Kern, erschienen 1995 im Rombach-Verlag, 79115 Freiburg)
Das umfassende leinengebundene 415seitige Werk mit vielen, teils farbigen, Bildern und Fotos kann bei der Gemeinde Sölden erworben werden.